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Personelle Grundausstattung der Gesundheitsämter

Pressemitteilung
Berlin, August 2020

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Mit Verwunderung lasen wir, dass die personelle Grundausstattung der Gesundheitsämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten gut sei.

Zu diesem Ergebnis kam eine Online-Befragung der kommunalen Spitzenverbände. Der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag befragten Gesundheitsämter von 294 Landkreisen und 62 kreisfreien Städten dazu, wie sie die Corona-Pandemie bewältigten, und kommen neben der Feststellung, dass diese „derzeit in besonderem Maße beansprucht werden, aber nicht überfordert“ seien, auch zu der Erkenntnis, dass sie „personell gut aufgestellt“ seien und kein Grund zum „Alarmismus“ bestünde.

Um einschätzen zu können, ob „10 ärztliche Planstellen“ für ein Gesundheitsamt (ohne Angaben zu den Vollzeitäquivalenten – VZÄ) und zusätzlich insgesamt „11.600 Stellen“ (auch hier keine Angaben zu den VZÄ) für alle Gesundheitsämter der Landkreise und kreisfreien Städte ausreichend sind, hätte eine Evaluation erfolgt sein müssen – und zwar unter Berücksichtigung aller Bundes- und Landesrechtsregelungen, nach denen Gesundheitsämter gesetzliche Aufgaben haben. Das ist aber mitnichten der Fall!

In Berlin gibt es seit 2010 eine solche Evaluation in Form des „Mustergesundheitsamtes“. Hierfür wurden alle Rechtsregelungen zugrunde gelegt, in denen der Öffentliche Gesundheitsdienst Zuständigkeiten hat.

Für alle Aufgaben

  • im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst,
  • im Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst,
  • im zahnärztlichen Dienst,
  • im sozialpsychiatrischen Dienst,
  • in der Behindertenberatungsstelle,
  • im Infektionsschutz,
  • der Tuberkulosefürsorge,
  • der Lebensmittelpersonalberatung,
  • der Hygiene/Krankenhaushygiene,
  • im umweltbezogenen Gesundheitsschutz,
  • der Trinkwasserhygiene,
  • der Badewasserhygiene,
  • der amtsärztlichen Begutachtung,
  • in den Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung,
  • in den Zentren für sinnesbehinderte Menschen,
  • der Gesundheitsberichterstattung,
  • der Gesundheitsförderung,
  • der Qualitätssicherung und Koordinierung
  • etc., etc.

wurde evaluiert, wie viel Personal in welchen Berufsgruppen und mit welcher Qualifikation erforderlich ist.

Die daraus ermittelten Sollzahlen sind das Maß dafür, ob ein Gesundheitsamt ausreichend mit Personal ausgestattet („grundausgestattet“) ist.

Mit Stand 30.06.2020 beträgt das Soll an Stellen in Berlin nach dem Mustergesundheitsamt 2.032,53 VZÄ. Geschaffen wurden inzwischen 1.829,74 VZÄ. Es fehlen also noch 202,79 VZÄ. Das ist ein Defizit von 10 %. Von diesen vorhandenen Stellen sind gegenwärtig 1.573,02 VZÄ tatsächlich besetzt. Die Differenz zum Soll beträgt real also 459,51 VZÄ. Das sind knapp 23 % fehlende Stellenanteile. Die Einzelbefragungen der Berliner Gesundheitsämter ergab dieses Ergebnis auch: es fehlen im Schnitt 20 % des erforderlichen Personals.

Nach dem Mustergesundheitsamt benötigt das Land Berlin 441,21 VZÄ an Ärzten, möglichst Fachärzten, in den Gesundheitsämtern. Das sind für jeden Bezirk 36,77 VZÄ. Stellen jedoch wurden für 365,93 VZÄ geschaffen. Ärztlich besetzt sind 287,74 VZÄ. Damit fehlen den Gesundheitsämtern in Berlin 35 % der erforderlichen Ärzte nach Mustergesundheitsamt.

In Anbetracht dessen, dass die Gesundheitsämter der Landkreise und kreisfreien Städte personell viel schlechter ausgestattet sind als die Berliner Gesundheitsämter, können die Feststellungen der kommunalen Spitzenverbände nur mit Verwunderung zur Kenntnis genommen werden. Die Gesundheitsämter der Landkreise und kreisfreien Städte in Brandenburg sind so gut wie nicht mit Fachärzten für Hygiene und Umweltmedizin, mit Sozialpsychiatern oder Kinder- und Jugendpsychiatern ausgestattet. Sie sind fachärztlich schlecht besetzt und können ihre Aufgaben nur durch eine massive Priorisierung wahrnehmen. Ihren gesetzlichen Aufträgen können sie nur in diesen priorisierten Bereichen gerecht werden.

So befragt, würden die Berliner Gesundheitsämter ebenfalls antworten, dass sie die Herausforderungen der Pandemie gut bewältigen. Das entspricht den Tatsachen. Tatsache aber auch ist, dass dies nicht ohne Unterstützung anderer Bereiche der öffentlichen Verwaltung möglich ist. Tatsache ist auch, dass viele Aufgaben der Gesundheitsämter zurzeit nicht wahrgenommen werden können, wie Einschulungsuntersuchungen, Ersthausbesuche, zahnärztliche Untersuchungen, Begehungen von medizinischen, Gemeinschafts- oder gewerblichen Einrichtungen.

Zu fordern ist eine Evaluierung des realen Personalbedarfes in den Gesundheitsämtern der Landkreise und kreisfreien Städte. Ein Vorgehen wie das der kommunalen Spitzenverbände führt nur zur Fehlinterpretation. Es besteht kein Handlungsbedarf? Wer hätte das gedacht?

Gudrun Widders
Stellvertretende Vorsitzende für Berlin

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