Fachliche Stellungnahmen

Stellungnahme des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdiensts zum geplanten Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit

Stellungnahme vom 03. November 2022
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Die Aufgaben des im Koalitionsvertrag 2021 verankerten Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) sind am 12.10.2022 im Bundestag konkretisiert worden, u.a. in Bezug auf die Rolle des BIÖG für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD).

Folgende Punkte wurden dabei herausgehoben:

  1. Eine Stärkung der Vorbeugemedizin und Prävention auf Bundesebene
  2. Eine koordinierende Rolle des künftigen BIÖG
    a) eines evidenzbasierten Handelns auf Basis von Leitlinien im ÖGD
    b) der Fort- und Weiterbildung, Lehre sowie Akademisierung des ÖGD
    c) Software-Standards und gemeinsamer Datenpakete im ÖGD

Die geplante Einrichtung eines Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit wird seitens des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdiensts sehr begrüßt. Zu den o.g. Konkretisierungen nimmt der BVÖGD wie folgt Stellung:

  1. Eine Stärkung der Vorbeugemedizin und Prävention auf Bundesebene ist vonnöten und wird daher sehr unterstützt. Der ÖGD ist schon jetzt der deutschlandweit wichtigste und stärkste Akteur in den Bereichen Prävention und Gesundheitsförderung. Er ist jedoch traditionell weitestgehend föderal organisiert und entsprechend v.a. auf Länder- und kommunaler Ebene ausdifferenziert. Diese Lücke gilt es durch das BIÖG und seine entsprechende Verankerung in gesundheitsrelevanten Entscheidungsprozessen auf Ebene des Bundes zu schließen (Governance). Dabei müssen auch auf Bundesebene Strukturen für ressortübergreifende Abstimmungsprozesse für eine bessere Gesundheit etabliert werden (Health in All Policies), wie sie auf kommunaler und Länderebene bereits vielerorts u.a. in Form von Gesundheitskonferenzen aufgebaut werden
  2. Ein Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit kann als koordinierende Institution für den Öffentlichen Gesundheitsdienst ausgesprochen wertvoll sein. Bzgl. der Umsetzung gilt es einerseits die Aufgaben des BIÖG eng mit Bundesländern und kommunaler politischer Ebene abzustimmen. V.a. gilt es aber andererseits, die Wissensbestände, den Erfahrungsschatz sowie auch bewährte Strukturen eines in Teilen sehr ausdifferenzierten ÖGD im deutschen Gesund- heitssystem einzubeziehen.

In besonderem Maße gilt dies für die kommunale Ebene, die aufgrund ihrer Kenntnis der Gegebenheiten vor Ort und der Nähe zu den Lebenswelten und Lebensweisen der Menschen auch in Zukunft von übergeordneter Bedeutung für die Prävention und die Förderung von Gesundheit sein wird. Bzgl. der Konkretisierung dieser Koordinationsfunktion sind folgende Punkte von besonderer Bedeutung:

  1. Eine stärkere Evidenzbasierung im Bereich der öffentlichen Gesundheit ist dringend erforderlich. Hierfür ist einerseits eine Verwissenschaftlichung des ÖGD anzustreben, wie sie aktuell z.B. durch die Einrichtung von ÖGD-Professuren und den Aufbau einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft für den Öffentlichen Gesundheitsdienst schon im Gange und noch zu intensivieren ist. Von größerer Bedeutung für ein leitlinienbasiertes Handeln des ÖGD ist jedoch, bzgl. wesentlicher Aufgabenbereiche zu einer Homogenisierung der landesgesetzlichen Regelungen zu kommen. Solange die landesgesetzlichen Aufträge des ÖGD derart differieren wie im Moment, ist es durchaus nachvollziehbar, dass sich auch das Handeln des ÖGD föderal und damit äußerst vielgestaltig darstellt. Der ÖGD hat vielfältige, heterogene Aufgaben, von hoheitlichen Kontroll- und Überwachungsaufgaben bis zu gestaltenden, kooperationsfördernden und gesundheitsförderlichen Aufgaben. Über den Gesundheitsschutz hinaus hat er z.B. mit seinen Aufgaben im Bereich der Kinder- und Jugendgesundheit, seiner Koordinierungsfunktion bzgl. Präventionsleistungen, der Gesundheitsberichterstattung und seinen Gesundheitskonferenzen zentrale Funktionen für die Vorbeuge- und Bevölkerungsmedizin. Alle letztgenannten Aufgaben sind jedoch föderal und dadurch ausgesprochen heterogen geregelt. Auch für sie sind Leitlinien und – als Basis dafür – homogenere gesetzliche Grundlagen dringend geboten. Das 2018 von der GMK verabschiedete Leitbild für einen modernen ÖGD kann eine wertvolle Grundlage für diesen Homogenisierungsprozess Im Rahmen des BIÖG darf es nicht zu einer Wiederholung der Fehler rund um das Präventionsgesetz kommen, die zur Folge hatten, dass dessen Umsetzung im föderalen System und speziell auf kommunaler Ebene problembehaftet blieb. Daher gilt es sich mit Landes- und kommunaler Ebene frühzeitig über gesetzliche Homogenisierungen und die zukünftige Aufgabenverteilung abzustimmen.
  2. Der ÖGD strebt eine weitere Professionalisierung und Verwissenschaftlichung Erste Schritte sind durch eine verstärkte ÖGD-Forschung und die Einrichtung erster universitärer ÖGD- Professuren getan. Angesichts der schon 2015 von der Leopoldina bemängelten jahrzehntelangen Parallelentwicklung von universitärer Public Health und der ÖGD-Praxis gilt es jedoch aus den gemachten Fehlern zu lernen. Das bedeutet v.a., dem Praxis-Wissenschafts- Transfer eine ebenso wichtige Bedeutung beizumessen wie dem Wissenschafts-Praxis-Transfer. Konkret ist es zwingend notwendig, auf die mannigfachen Erfahrungen und Modelle guter Praxis auf Landes- und kommunaler Ebene aufzubauen. Dies erfordert es, gewachsene Kompetenzen und Strukturen wie z.B. konzeptionell sehr aktive Landesbehörden oder die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, die sich für den weit überwiegenden Teil der Bundesländer im Bereich von Fort- und Weiterbildung übergreifend etabliert hat, einzubeziehen. Auf diese Strukturen muss aufgebaut werden, statt eine Parallelstruktur auf Bundesebene zu etablieren.
  3. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie sowie aus vorhergehenden Jahrzehnten der Gesundheitsberichterstattung zeigen überdeutlich, dass in Deutschland ein eklatanter Mangel an übergeordneten Informationen und Datenverarbeitungsstrukturen herrscht. Die Homogenisierung dieser Strukturen durch bidirektional kompatible und gleichzeitig funktionale Software-Standards für alle Aufgabenbereiche des ÖGD wird daher sehr begrüßt. Um eine hohe Passgenauigkeit an die praktischen Anforderungen zu erreichen, wird aber auch hier die enge Abstimmung mit der Praxis von zentraler Bedeutung sein. Übergeordnete Good-Practice- Datenbanken am BIÖG würden darüber hinaus einerseits hohen praktischen Nutzen haben und zugleich einen Beitrag zur Leitlinien- und Evidenzbasierung im ÖGD leisten. Auch auf Ebene gemeinsamer Datenbasierung und Datennutzung wird eine bundesweite Koordinations- funktion durch das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit begrüßt. Der ÖGD setzt z.B. mit den Schuleingangsuntersuchungen die deutschlandweit wertvollste epidemiologische Er- hebung im Bereich der Kindergesundheit um. Gleiches gilt für den Infektionsschutz, in dem der ÖGD deutschlandweit Infektions- und Hygienedaten erhebt. Durch die föderale Heterogenität und unterschiedliche Datenstrukturen können u.a. diese für die öffentliche Gesundheit extrem wichtigen Informationen bisher nicht übergeordnet ausgewertet und für inhaltliche Schwer- punktsetzungen genutzt werden. Eine Koordinierungsstruktur wie das geplante BIÖG kann und sollte solche Missstände beheben.