Fachliche Stellungnahmen

Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung: IGV

Berlin, den 13. Oktober 2025

Stellungsnahme als PDF

Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zu
den Änderungen vom 01. Juni 2024 der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005)
(IGV) vom 23. Mai 2005

Hier: Öffentliche Anhörung am 13. Oktober 2025

Sehr geehrte Frau Ausschussvorsitzende Dr. Machalet, sehr geehrte Damen und Herren,
der BVÖGD bedankt sich für die Möglichkeit, an der Öffentlichen Anhörung zu dem oben bezeichneten Gesetzentwurf der Bundesregierung am 13. Oktober 2025 teilzunehmen. Er macht dabei zusätzlich gemäß dem Einladungsschreiben vom 26. September 2025 von der Möglichkeit Gebrauch, eine Stellungnahme abzugeben.

Einleitung
Der BVÖGD begrüßt den Ansatz der Bundesregierung, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ihre Regularien der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) als das zentrale, völkerrechtlich bindende Instrument zur Bewältigung grenzüberschreitender Gesundheitskrisen zu stärken. Internationale Kooperation ist gerade in Anbetracht der zunehmenden internationalen (Gesundheits-)Krisen von großer Bedeutung. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt wichtige Änderungen, die die Versammlung der WHO in Genf am 1. Juni 2024 an den Internationalen Gesundheitsvorschriften getroffen hat, in nationales Recht um.
Dem BVÖGD ist es dabei wichtig, auf verschiedene Aspekte kurz einzugehen, um deren Bedeutung zu unterstreichen.

Einzelaspekte
Ein wesentliches Element der Reform ist die Einführung einer neuen Alarmstufe – der sogenannten pandemischen Notlage als Untergruppe eines internationalen Gesundheitsnotfalls (Public Health Emergency of International Concern, PHEIC, Artikel 1). Diese Zwischenstufe ermöglicht bereits vor dem Vorliegen einer Pandemie im epidemiologischen Sinne eine breite Reaktion, um bereits vorbeugend reagieren zu können.
Zentral ist darüber hinaus die Vorgabe, dass bei einem Ereignis und den entsprechenden Gegenmaßnahmen die Würde der einzelnen Person gewahrt werden muss (Artikel 3), die Werte „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ zu beachten sind (Artikel 3) und in Artikel 23 in Verbindung mit Artikel 43 dann aufgeführt wird, dass die am wenigsten invasive ärztliche Methode Anwendung finden muss. Die Beachtung dieser Regeln ist nicht nur aus humanitären Gesichtspunkten, sondern auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit und damit für die Akzeptanz in der Bevölkerung essentiell.

Die beabsichtigte Verbesserung der Transparenz in Ausbruchssituationen hält der BVÖGD für sehr wichtig. So soll in unklaren Lagen künftig zeitnah eine Konsultation mit der WHO erfolgen („should“ statt bisher „may“, Artikel 8). Ebenso ist vorgesehen, dass – wenn ein Mitgliedstaat das Angebot der WHO zur Untersuchung oder Bestätigung nicht annimmt – die vorhandenen Informationen dennoch von der WHO an andere Mitgliedsstaaten weitergegeben werden („should“ statt bisher „may“, Artikel 10), wenn dies durch die Größenordnung der Gefahr für die öffentliche Gesundheit gerechtfertigt ist. Diese klarere Regelung kann dazu beitragen, dass mögliche Ereignisse mit Relevanz für die öffentliche Gesundheit (All-hazard approach) nicht verzögert berichtet werden und eine schnelle Reaktion ermöglicht wird.
Als essenziell begrüßt wird die Empfehlung im Teil III (Artikel 15 bis 18) zur Aufrechterhaltung von Lieferketten und (unverbindlichen) Ausnahmen von Reisebeschränkungen für Gesundheitspersonal. In einer globalisierten Welt kann auch Deutschland bei der medizinischen Versorgung seiner Bevölkerung von einer Störung oder einem Ausfall in Lieferketten betroffen sein (was im Rahmen der COVID-19-Pandemie schmerzhaft beobachtet werden konnte), so dass hier eine differenziertere Betrachtungsweise sehr wünschenswert ist. Dass die Empfehlung auch Personen in lebensbedrohlichen Situationen oder humanitären Situationen umfasst, wird ebenso begrüßt.

Auch die Erfassung sowohl nicht-digitaler als auch digitaler Gesundheitsdokumente (Artikel 35 und 38, Anlage 6) wird ausdrücklich befürwortet. Hier wird jedoch auf die unverändert bestehenden Digitalisierungsdefizite im Öffentlichen Gesundheitsdienst hingewiesen. Deren Behebung muss unbedingt weiter vorangetrieben werden, um in einer pandemischen Notlage oder einem PHEIC auch die Voraussetzungen zu haben, um digitalisierte Dokumente erfassen zu können. Aktuell leidet das deutsche Gesundheitswesen zudem insgesamt noch unter einer unzureichenden Digitalisierung. Relevante Daten zu Behandlungskapazitäten, Personalverfügbarkeit und Materialbeständen werden größtenteils manuell zusammengetragen und asynchron (z.B. per E-Mail) übermittelt. Dies macht die Erstellung eines Lagebildes in Echtzeit unmöglich und verhindert eine schnelle, datengestützte und koordinierte Reaktion. Dieses Defizit wird durch die Notwendigkeit der Vernetzung mit militärischen Meldestrukturen zusätzlich verschärft.
Ein weiteres Defizit in Deutschland betrifft den Umstand der fragmentierten Entscheidungs- und Führungsstrukturen. Dabei agieren bestehende Krisenstäbe primär auf kommunaler Ebene und sind oft nicht für eine kommunenübergreifende, länger andauernde Krisenlage ausgelegt. Der Austausch zwischen den Stäben erfolgt häufig über entsandtes Verbindungspersonal, was die Koordination fragmentiert und ineffizient macht. Hinzu tritt gemäß den Erfahrungen in der COVID-19-Pandemie das Problem, das fachliche Entscheidungen (z. B. der einzelnen Gesundheitsämter) selbst in Ausnahmesituationen (z. B. Notfällen, Gesundheitliche Gefahrenlagen) einer politischen Weisung unterliegen können, wodurch die fachliche Unabhängigkeit grundsätzlich oder konkret untergraben werden kann. Zudem handeln die Bundesländer getreu dem Föderalismus auch im Fall eines IGV-relevanten Ereignisses in eigener Zuständigkeit, was sich am Beispiel der COVID-19-Pandemie ebenfalls als Problem erwiesen hat.

Schlussfolgerung
Die Vorbereitung des deutschen Gesundheitswesens auf eine ordnungsgemäße Anwendung der Internationalen Gesundheitsvorschriften (wie auch auf einen Bündnisfall gemäß dem geplanten Gesundheitssicherstellungsgesetz) erfordert mehr als eine rein formalistische Anpassung bestehender Gesetze. Sie verlangt eine konsequente Fortsetzung bereits eingeschlagener Wege zur Verbesserung der Digitalisierung im Gesundheitswesen und eine fundamentale strategische Neuausrichtung in den Entscheidungs- und Führungsstrukturen unter Wahrung der fachlichen Unabhängigkeit.

Trotz dieser bestehenden Defizite ist es dem BVÖGD wichtig, zu betonen, dass der Entwurf eines Gesetzes zu den Änderungen vom 01. Juni 2024 der Internationalen Gesundheitsvorschriften (2005) (IGV) vom 23. Mai 2005 eine wichtige Grundlage für den Schutz der Bevölkerung vor grenzüberschreitenden gesundheitlichen Gefahren darstellt.

Der BVÖGD unterstützt die vorgesehenen Anpassungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften vollauf und begrüßt mit Nachdruck, dass die Bundesregierung dieses Instrument zur grenzüberschreitenden Bekämpfung von Gesundheitsgefahren forciert.

Mit besten Grüßen
Dr. med. Peter Schäfer
(Vorsitzender)